Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
Sie kennen das: Sie hören ein Musikstück - wenn es Ihnen gefällt und obendrein noch eingängig ist, entsteht leicht ein Ohrwurm, der tagelang ungewollt zum Begleiter durch den Alltag werden kann. So erging es auch Ludwig van Beethoven, der mit so einem Ohrwurm allerdings kreativ umging. Eine seiner schönsten Triokompositionen ist daraus entstanden: Das Trio B-Dur für Klarinette, Violoncello und Klavier op. 11, allgemein auch als "Gassenhauer-Trio" bekannt.
Nur selten schrieb Beethoven Unterhaltungsmusik oder ließ sich gar auf die Verarbeitung eines Themas ein, welches dem Publikum als Gassenhauer bekannt war. Doch in seinem Trio op. 11 ist das anders: Auf Wunsch des Klarinettisten, für den Beethoven das Werk schrieb, griff der Komponist im Finalsatz eine Melodie auf, die in Wien um 1800 ein echter Kassenschlager war – und verlieh diesem Ohrwurm einen frischen, kunstvollen Charakter.
"Pria ch’io l’impegno" (übersetzt in etwa "Bevor ich ans Werk geh’"), der Dauerbrenner aus Joseph Weigls komischer Oper L’amor marinaro (Der Korsar oder Die Liebe unter den Seeleuten) heißt der Ohrwurm, der seit der Uraufführung 1797 in ganz Wien gesungen und gepfiffen wurde. Beethoven ist nicht der einzige, der anhaltend von diesem Schlager verfolgt wird, auch seine Komponistenkollegen Johann Nepomuk Hummel und Niccolò Paganini haben das Thema aufgegriffen. Die größte Berühmtheit aber erlangte die Melodie jedoch durch Beethovens Bearbeitung im letzten Satz seines B-Dur-Trios. Während das Streichquartett, damals noch nicht durch Beethoven, wohl aber durch die Werke Haydns und Mozarts, bereits zur Königsgattung der Kammermusik aufgestiegen war, verband man mit dem Klaviertrio, das lange Zeit eher als Genre für Amateure denn für Profis galt, einen leichten und vergnüglichen Ton. Beethoven entspricht dieser Vorgabe, geht aber dennoch - als größter Zertrümmerer und Neuerer der Musikgeschichte neben Wagner und Schönberg - unkonventionelle Wege.
Bereits der Beginn des ersten Satzes (Allegro con brio) gibt Zeugnis seiner schier unbegrenzten Experimentierfreude. Obwohl die drei Instrumente mit vehementer Entschlossenheit unisono einsetzen, bleibt doch ein entscheidender Parameter vollkommen im Dunkeln, nämlich das harmonische Gerüst. Erst nach 19 Takten wird mit dem Einsetzen der Achtelfigur in der Bassstimme des Klaviers und den abwechselnd von Klarinette und Cello vorgetragenen Melodiestücken die eigentliche Grundtonart B-Dur gefestigt. Eine weitere harmonische Raffinesse leitet den Seitensatz ein, denn auch an dieser Stelle erklingt nicht die zu erwartende Tonart F-Dur, sondern zunächst, wie aus einer anderen Welt stammend, eine eher zaghafte D-Dur-Dreiklangsgeste des Klaviers, die in scharfem, unvermitteltem Kontrast zum Vorhergegangenen steht und erst durch eine Cello-Figur nach F-Dur geleitet wird.
Überaus lyrisch ist der zweite Satz (Adagio), eine dreiteilige Liedform mit Coda, in der das Cello zunächst das schwelgerische Thema vorstellt und damit augenscheinlich macht, wie weit sich die Gattung von ihrer ursprünglichen Form aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, in der das Cello nur der Verstärkung des Klavierparts diente, fortentwickelt hatte. "Wer Fuge sagt, sagt Bach... - Mit gleichem Recht könnte man behaupten, wer Variation sagt, sagt Beethoven", so der Musikforscher und Beethoven-Experte Jürgen Uhde über den Komponisten, der sich wie kaum ein Zweiter mit dieser Gattung beschäftigt hat. Mit insgesamt etwa 80 Variationswerken und Variationssätzen in Sonaten, Sinfonien oder Kammermusik nimmt die Form einen bedeutenden Rang in seinem Schaffen ein. Im Trio op. 11 bildet der letzte Satz (Allegretto) mit seinem "Gassenhauer"-Thema und den neun daraus abgeleiteten Variationen den humoristischen Kehraus.
Heute also einmal ein heiteres Werk des sonst oft so stürmischen Ludwig van Beethoven - das Gassenhauer-Trio wird gespielt von Sabine Meyer (Klarinette), Sol Gabetta (Violoncello) und Seong-Jin Cho (Klavier); der Mitschnitt entstand im Rahmen des Solsberg Festivals am 26. Juni 2020 in der Klosterkirche Olsberg:
www.youtube.com/watch
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16.02.2022
Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik