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28.01.2022 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 280

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

heute soll wieder einmal ein Werk im Mittelpunkt stehen, das nach meiner Ansicht viel zu selten aufgeführt wird: Das Konzert für zwei Klaviere und Orchester d-Moll von Francis Poulenc.

Als Sohn eines erfolgreichen Pharmazie-Industriellen erhielt Francis Poulenc standesgemäß Klavierunterricht. Allerdings erwartete der Vater auch, dass Poulenc in die Firma eintrat und die Musik nur mehr als Hobby betrachtete. Der Konflikt löste sich in seinem 18. Lebensjahr durch den Tod der Eltern; dem Klavierlehrer Ricardo Viñes fiel die Rolle eines väterlichen Mentors zu.

Viñes, selbst ein gefeierter Virtuose und eng befreundet mit Claude Debussy und Maurice Ravel, führte seinen Schützling prompt in die Pariser Kulturwelt ein. Hier traf er den Schriftsteller und Musikkritiker Jean Cocteau und den exzentrischen Komponisten Erik Satie. Poulenc und seine Kollegen Darius Milhaud, Arthur Honegger, Georges Auric, Louis Durey und Germaine Tailleferre schlossen sich im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zur sogenannten Groupe des Six zusammen. Die Komponisten trafen sich regelmäßig in Milhauds Pariser Apartment auf dem Montmartre und vertraten eine Musiksprache, die sich bewusst vom ausgehenden 19. Jahrhundert, von Wagners Einflüssen und vom Impressionismus absetzen wollte. Berührungsängste mit Elementen der Unterhaltungsmusik hatten diese Komponisten nicht; sie waren offen für Experimente mit dem Futurismus und programmatischen Klangbildern. Sie teilten die Ablehnung des aufgeblähten spätromantischen Pathos, dem sie das Streben nach Einfachheit, Klarheit und Leichtigkeit entgegensetzten. Maurice Ravel stand ihnen eher skeptisch gegenüber; er meinte, sie sollten erst einmal ordentlichen Tonsatz lernen. Damit missverstand er zwar das Credo der Truppe, traf bei Poulenc allerdings voll ins Schwarze, der sich reumütig einen Kompositionslehrer suchte.


Leichtfüßige Eleganz und sprühender musikalischer Humor blieben dennoch die prägenden Kennzeichen von Poulencs Stil. Den Auftrag für das Doppelkonzert d-Moll erteilte dem Komponisten Winnaretta Singer, die berühmte Erbin des Gründers der Singer-Nähmaschinenfabrik und großzügige Musikmäzenin. Bei der Uraufführung am 5. September 1932 in Venedig spielten Poulenc und sein langjähriger Freund Jacques Février die Soloparts. Das Stück, das bis heute zu den beliebtesten Werken des Franzosen zählt, wird gern als Abschluss seiner frühen schöpferischen Phase betrachtet, in der er sich auch dem Neoklassizismus zuwandte. Es bringt zusammen, was auf den ersten Blick kaum zusammenpasst: Unterhaltungsmusik und Hochkultur, Rokoko und fernöstliche Exotik. Pate stand insbesondere Wolfgang Amadeus Mozart, den Poulenc "vor allen anderen Komponisten" schätzte. 

Unüberhörbar haben aber auch Poulenc Landsmann Camille Saint-Saëns, Igor Strawinsky, Sergej Rachmaninow, Sergej Prokofjew und erst recht Maurice Ravel deutliche Spuren in diesem Stück hinterlassen. Bestimmend bleiben aber Poulencs ureigener melodischer Einfallsreichtum, sein Witz und seine Ironie sowie die Eleganz seiner Klavierbehandlung und Instrumentationskunst. An Mozarts Divertimenti und Serenaden erinnert der erste Satz, dessen Melodien allerdings auch den Musettes und Märschen aus Pariser Straßencafés und Cabarets abgelauscht sein könnten. Der zweite Satz verweist ganz konkret auf Mozarts Klavierkonzert KV 466 in derselben Tonart d-Moll. Im spritzigen Finale kommt dann noch die Klanginspiration durch das balinesische Gamelan-Orchester hinzu, das Poulenc auf einer Ausstellung französischer Kolonien kennengelernt hatte.

Es macht die Größe Poulencs aus, dass das Resultat keine beliebige Mixtur ist, sondern ein charakteristischer, sofort identifizierbarer Personalstil, den Adélaide de Place so auf den Punkt gebracht hat: "Dieser durch und durch französische Komponist, der weder ein Neuerer noch ein Revolutionär war, gleichwohl zu den großen Musikern des 20. Jahrhunderts gehört, hat uns eine elegante und exquisite Musik hinterlassen, hinter deren vordergründiger Schlichtheit sich ein sprühender Geist, ein zuweilen spitzbübisches Lächeln und eine tiefe Empfindsamkeit verbergen."

Zwei Empfehlungen heute von mir - zunächst ein wahrhaftig tiefer Griff ins Archiv mit dem Komponisten als Interpreten. Die beiden Pianisten der Uraufführung, Francis Poulenc und Jacques Février, sind hier mit dem Orchestre National de France unter der Leitung von Georges Prêtre zu erleben, der Mitschnitt entstand 1959 in der Pariser Salle Gaveau:

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www.youtube.com/watch

Am 28. August 2021 fand auf dem Berliner Gendarmenmarkt ein Open-Air-Konzert mit dem Konzerthausorchester Berlin zur Eröffnung der Saison 2021/22 statt. Artists in Residence im Konzerthaus sind in der laufenden Spielzeit Lucas und Arthur Jussen. Auf dem Programm stand an diesem Abend, der auch vom RBB aufgezeichnet wurde, Poulencs Doppelkonzert, das jedoch vorzeitig nach dem zweiten Satz wegen eines starken Regenschauers abgebrochen werden musste. Hier sind beide dennoch mit der vollständigen Aufführung zu erleben: Bereits am 9. Oktober 2016 spielten die beiden Brüder aus den Niederlanden im Amsterdamer Concertgebouw Poulencs Doppelkonzert mit dem Concertgebouworkest unter der Leitung von Stéphane Denève.

www.youtube.com/watch (1. Satz)

www.youtube.com/watch (2. Satz)

www.youtube.com/watch (3. Satz)

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Urlaubsgrüßen von der Nordsee

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler