Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
das erste Klavierquintett der Musikgeschichte - und gleich ein ganz großer Wurf! Unser heutiges Musikstück ist Robert Schumanns Klavierquintett Es-Dur op. 44.
"Ganz oder gar nicht" ist Robert Schumanns Lebensthema. Immer war er extrem: seine Karriere als Pianist trieb er mit einer solch selbstquälerischen Vehemenz voran, dass er sich die rechte Hand ruinierte und den Traum vom Pianistenleben aufgeben musste. Seine Ehe mit Clara Wieck erkämpfte er gegen den erbitterten Widerstand ihres Vaters und nahm dafür den Bruch mit ihrer Familie in Kauf. Sein Arbeitsrhythmus als Komponist schwankte zwischen Lähmung und fieberhafter Schaffensekstase.
Diese Neigung, sich völlig mit einem Themenfeld zu verausgaben und es erst wieder loszulassen, wenn es im umfassenden Sinne erschöpft ist, kennzeichnet auch seinen kompositorischen Umgang mit musikalischen Gattungen und Besetzungen: Viele Jahre lang schrieb er fast ausschließlich Werke für sein eigenes Instrument, das Klavier. Plötzlich, im Jahr 1840, galt sein ganzes Interesse dem Lied, dann folgt das Jahr der Sinfonien, schließlich, 1842 das der Kammermusik. Nach den drei Streichquartetten entstand das Klavierquintett Es-Dur op. 44, bis heute eines von Schumanns populärsten und am meisten gespielten Werken. Seine Frau Clara übernahm den Klavierpart bei der Uraufführung, und seither gehörte das Quintett zu ihren Lieblingsstücken. Als "wunderschön, voller Kraft und Frische" bezeichnete sie es, und setzte es immer wieder auf ihre Kammermusik-Programme.
Neben der explosiven musikalischen Kraft und dem Reichtum der Melodien und Klangfarben zeichnet sich das Quintett durch seine klare Struktur und Fasslichkeit aus. Das gilt für das vorwärtsdrängende Hauptthema des ersten Satzes, dessen musikalische Architektur genau ausbalanciert ist; und es gilt ebenso für den trauermarsch-artigen langsamen Satz. Auch im Scherzo erweist sich das thematische Ausgangsmaterial als einprägsam und einfach zugleich: es basiert auf einer schlichten auf- und absteigenden Tonleiter. Schumann baut mehrere Abschnitte ein, in denen er das Thema wie eine Fuge polyphon verschachtelt und die Themeneinsätze in Engführung einander überlappen lässt. Auch über die Satzgrenzen hinweg strebt Schumann Geschlossenheit an: die Themen der einzelnen Sätze sind untereinander verwandt und korrespondieren miteinander. So ist etwa das Scherzo-Thema aus dem ersten Satz herausgeschält, und im Finale schichtet Schumann kunstvoll die Themen aus Kopfsatz und Schlusssatz übereinander. Kein anders seiner Kammermusikwerke erreicht eine so große Kompaktheit und Geschlossenheit der Form wie dieses Quintett.
Drei Aufführungen empfehle ich Ihnen heute sehr gerne: Zunächst ein Konzert vom Klavierfestival Ruhr mit Martha Argerich und Renaud Capucon, Gabriele Shek, Lydia Chen und Mischa Maisky, aufgezeichnet 2010 in der Philharmonie Essen:
Leonidas Kavakos, Roman Simović, Blythe Teh Engstroem, Gautier Capucon musizierten gemeinsam mit Yuja Wang Schumanns Opus 44 am 30. Juli 2016 beim Verbier Festival 2016 in der Salle des Combins:
Und zum Schluss noch ein Mitschnitt vom Arthur Rubinstein Piano Master Competition vom Mai 2011 in Tel Aviv. Daniil Trifonov musiziert Schumanns Klavierquintett mit dem Ariel String Quartet:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler