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06.05.2022 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten - 322

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
 
ein großes kammermusikalisches Werk von Ludwig van Beethoven erwartet Sie in der heutigen Ausgabe: Das Klaviertrio B-Dur op. 97, allgemein auch als "Erzherzog-Trio" bekannt. Mit vier ausgedehnten Sätzen und knapp 45 Minuten Spieldauer hat es wahrhaft sinfonische Ausmaße.
 
Die Bezeichnung des 1810/11 komponierten Trios stammt nicht vom Komponisten, sondern bezieht sich auf den Widmungsträger, Erzherzog Rudolph. Der jüngste Sohn des Kaisers Leopold II. und Enkel der Kaiserin Maria Theresia war Beethoven ein wichtiger Freund und Mäzen. Gleichzeitig war Rudolph Beethovens letzter Klavierschüler, der den um 17 Jahre älteren Künstler tief verehrte. 14 große Werke widmete Beethoven ihm, zudem entstand anlässlich seiner Inthronisierung als Erzbischof von Olmütz die berühmte Missa solemnis. 

Wie immer, wenn es um den Erzherzog ging, hatte Beethoven auch mit seinem Opus 97 Besonderes im Sinn. In seinem letzten Klaviertrio übertrug er die breiten Dimensionen und die gesangliche Aura seiner neueren sinfonischen Werke auf die Kammermusik. Das Trio klingt so lyrisch wie das G-Dur-Klavierkonzert, so pastoral wie die sechste Sinfonie und in den Klavierpassagen so raumgreifend wie das Es-Dur-Konzert. Beethovens Kunst der motivisch-thematischen Arbeit trumpft hier einmal nicht heroisch auf, sondern kleidet sich durchweg in breiten, liedhaften Gesang.

Das Hauptthema des Kopfsatzes ist das Paradigma dieses geläuterten Stils: ein B-Dur-Gesang, den Klavier und Streicher so unbekümmert vor sich hinsingen, als stamme er von Franz Schubert. Vom alten Themendualismus des Beethovenschen Sonatensatzes ist hier nichts zu spüren: Das G-Dur-Seitenthema wirkt nur wie die innere Fortsetzung des Hauptthemas. Die Durchführung ist auf dieser Grundlage nichts anderes als ein flächiges Ausbreiten lyrischen Gesangs. Das an zweiter Stelle stehende Scherzo macht seinem Namen vom ersten Takt an alle Ehre: mit einer naiv volkstümlichen Weise des Cellos, die die Geige in Gegenbewegung beantwortet. Hier bitten zwei Wiener Straßenmusikanten zum Walzer, was sich das Klavier nicht zweimal sagen lässt. Das Scherzo ist nichts anderes als ein ironischer Kommentar zur rasch um sich greifenden Walzersucht der Wiener. 

Das Andante cantabile ist einer der schönsten Variationensätze in Beethovens Kammermusik. Die stille Größe des D-Dur-Themas beruht auf den einfachsten diatonischen Harmonien. Im Laufe der Variationen werden sie zunächst kaum durch kunstvollere Akkorde ersetzt, denn im Vordergrund steht der Klang. Die Rollen im Triosatz sind so eigenwillig verteilt, dass man an die sperrige Klanglichkeit der späten Quartette erinnert wird. Erst in der langen Passage der vierten Variation, in der die Streicher das synkopierte Thema über rauschenden Klavierakkorden bringen, darf sich das Trio in klassischer Klangschönheit aussingen. In der letzten Variation steigert sich dieses Cantabile nach zaghaftem dialogischem Beginn zur Emphase eines harmonisch reichen, romantischen Gesangs. Unversehens verwandeln sich die letzten Akkorde dieser Cantabile-Stelle in den Auftaktakkord zum Finale. Die Rondoform nutzte Beethoven hier zu Ausflügen in teils humorvolle, teils widerborstige Episoden. Am Ende machte er sich einen Lieblingskunstgriff Mozarts zunutze: das Thema vom geraden Takt in den 6/8-Takt zu versetzen. Bei Beethoven beginnt dieses Presto freilich in A-Dur, also enharmonisch so weit vom Grundton entfernt, dass die endgültige Rückkehr nach B-Dur dem Satz zu einem sensationellen Schluss verhilft. 
 
Wer diese Musik hört, wird sich kaum vorstellen können, dass dieses Trio eigentlich mit dem tragischsten Aspekt von Beethovens Leben eng verbunden ist. Beethovens Gehörleiden war zur Zeit der Entstehung bereits weit fortgeschritten. Trotzdem saß er bei der Uraufführung und einer weiteren Aufführung des Werkes selbst am Klavier. Aus den Überlieferungen der Zeitgenossen geht hervor, dass diese Aufführungen kein wahrer Genuss waren, weil Beethoven schon keine Kontrolle mehr über sein eigenes Klavierspiel hatte, dass man das Genie aber noch erahnen konnte. Es sollten tatsächlich Beethovens letzte Auftritte sein: Nach der zweiten Aufführung des Erzherzog-Trios zog sich der einst gefeierte Pianist für immer von der Konzertbühne zurück.
 
Zwei Aufführungen empfehle ich Ihnen heute sehr gerne: Isabelle Faust Jean-Guihen Queyras und Alexander Melnikov musizierten Beethovens Erzherzog-Trio am 27. März 2021 im Paul Sacher Saal des Musik- und Kulturzentrum Don Bosco in Basel:

www.youtube.com/watch

Im Rahmen eines UNESCO-Benefizkonzerts vereinten sich 1974 in Paris drei große Solisten zu einem Klaviertrio: Yehudi Menuhin, Mstislav Rostropowitsch und Wilhelm Kempff:

www.youtube.com/watch

Beitrag von NR