Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
wer sehnt sich nicht nach einem himmlischen Leben? Unser heutiges Musikstück erfüllt diesen Wunsch mit Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 4.
Gustav Mahler schrieb seine vierte Sinfonie nach einer fast dreijährigen, wahrscheinlich durch den Dienstantritt als Wiener Operndirektor (1897) erzwungenen Kompositionspause während der Sommer 1899 in Bad Aussee und 1900 in Maiernigg am Wörthersee. Die Uraufführung fand am 25. November 1901 in München statt, und bis zu den letzten Aufführungen am 17. und 20. Januar 1911 in der New Yorker Carnegie Hall leitete Mahler seine Vierte insgesamt acht Mal. Dabei nahm er - wie gewohnt - stets Revisionen vor, die letzten noch kurz vor seinem Tod. Erst 1963 erschien eine kritische Ausgabe, in der alle Revisionen Mahlers berücksichtigt wurden.
Die vierte Sinfonie ist das Schlussstück der mit Recht so genannten "Wunderhorn-Sinfonien", die Mahler selbst als "durchaus in sich geschlossene Tetralogie" bezeichnete. War die vorangegangene dritte Sinfonie gekennzeichnet durch ihre riesige Dimension, einen großen Aufführungsapparat und globale bis kosmische Vielfalt in sechs Sätzen, so bestimmen Konzentration, Verkleinerung des Apparates und die Beschränkung auf vier Sätze bei engster thematischer Verzahnung die Vierte. "Das himmlische Leben", schon 1892 als Klavierlied geschrieben, sollte ursprünglich den Schlusssatz der dritten Sinfonie bilden. Die Planänderung macht den besonderen Rang dieses Liedes deutlich, welches nun quasi eine eigene Sinfonie erhielt, in der es "die sich ganz verjüngende Spitze" bildet. "Es ist die Heiterkeit einer höheren, uns fremden Welt darin, die für uns etwas Schauerlich-Grauenvolles hat. Im letzten Satz erklärt das Kind, welches im Puppenstand doch dieser höheren Welt schon angehört, wie alles gemeint sei" Mahlers eigene Aussage vom 12. Oktober 1901 enthüllt den Kern seiner vierten Sinfonie. Sie ist in ihrem ganzen Ablauf auf das abschließende Lied hin komponiert, welches mit allerlei Vorahnungen und Zitaten in den ersten drei Sätzen wiederholt in den Vordergrund tritt.
Von Theodor Wiesengrund Adorno stammt das Bonmot, Mahlers vierte Sinfonie sei ein Meisterwerk des "Als-Ob von der ersten bis zur letzten Note". Tatsächlich spielt das Werk ein doppelbödiges Spiel mit den Zuhörern. Die im Finale versprochenen himmlischen Freuden erweisen sich als trügerisch. Der Finalsatz mit dem Lied "Das himmlische Leben" zeichnet aus kindlicher Perspektive das Bild eines jenseitigen Schlaraffenlands. Mahlers skeptischer Blick auf die "Welt als Jetztzeit" - geprägt von Lügen, Intrigen und menschlichem Leid - entwirft mit dieser "himmlischen Welt" einen utopischen Gegenentwurf. Doch zeigen sich auch an diesem himmelblau getönten Firmament Risse und Brüche - wovon Mahlers vierte Sinfonie an vielen Stellen erzählt.
Die Uraufführung war bei weitem kein Erfolg, obwohl Mahler sich für seine Vierte gute Chancen ausrechnete. Doch die Rechnung ging nicht auf. Nach den monumental besetzten vorangegangenen Sinfonien wird das Publikum mit der viel knapperen und schlankeren Vierten nicht so recht warm. Es wird sogar gezischt - insbesondere nach dem Scherzo. Hier lässt Mahler den Tod auf einer um einen Ton höher gestimmten Geige spielen. Die Kritik verreißt ihn: "Wer sich einen Fortschritt Mahlers zum Gesünderen, eine Hinkehr zum Urquell aller Kunst, der Natürlichkeit erhofft hatte, der musste sich enttäuscht zurückziehen. Die keimenden Schädlinge der dritten Sinfonie sind in diesem neuen Werk zu dornigem Unkraut aufgegangen." Noch Jahre später sagt Mahler über die vierte Sinfonie, sie sei sein Stiefkind. Im Laufe der Zeit ist sie jedoch eine von Mahlers populärsten Sinfonien geworden. Und eine späte Versöhnung mit dem Münchner Publikum gab es auch: Nach zehn Jahren folgt die Uraufführung der achten Sinfonie. Es wird der größte Triumph, den Mahler je erleben sollte.
Zwei Aufführungen mit diesem Werk empfehle ich Ihnen heute sehr gerne - zunächst die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Leonard Bernstein und Edith Mathis (Sopran) in einer Aufzeichnung vom Mai 1972 aus dem Wiener Musikverein:
Am 21. August 2009 waren im Luzerner Musik- und Kongresszentrum das Lucerne Festival Orchestra unter der Leitung von Claudio Abbado und Magdalena Kožená
(Mezzosopran) zu erleben:
www.youtube.com/watch