Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
er ist der bekannteste Stehgeiger unserer Zeit und vor allem mit
Werken der Strauß-Familie seit vielen Jahren weltweit erfolgreich:
André Rieu. Einer seiner bekanntesten Walzer-Hits stammt jedoch nicht
von Johann Strauß, sondern von Dmitri Schostakowitsch:
https://www.youtube.com/watch?v=vauo4o-ExoY
Schostakowitschs Walzer, der übrigens auch für Stanley Kubricks Film
"Eyes Wide Shut" mit Tom Cruise und Nicole Kidman verwendet wurde,
stammt aus der Suite für Jazzorchester Nr. 2, die ich Ihnen heute
gerne vorstellen möchte. Sie entstand auf Anweisung der
Sowjetischen(!) Jazz-Kommission.
Die Oktoberrevolution im Jahr 1917 war nicht nur politisch sondern
auch kulturell eine tief einschneidende Zäsur für Russland.
Revolutionsführer Lenin forderte: „Die Kunst gehört dem Volke. Sie
muss ihre tiefsten Wurzeln in den schaffenden Massen haben.“ Fortan
wurde die Musik sozialistisch getrimmt. Eine volkseigene Musikkultur
sollte auf Befehl des kommunistischen Machthabers entstehen. Der zur
selben Zeit in den USA aufkeimende Jazz mit seinem
freiheitlich-individualistischen Charakter stand Lenins Vorstellungen
von einer volkseigenen Musikkultur diametral entgegen. Dennoch dauerte
es nicht lange, bis die ersten Schallplatten mit den neuartigen
afroamerikanischen Klängen die noch junge Sowjetunion erreichten. Das
russische Volk zeigte sich begeistert, die Sowjetregierung hingegen
war weniger angetan von der ausgelassen-emotionalen Musik aus dem Land
des Klassenfeindes.
Obwohl der Jazz als dekadent galt, kam ein Verbot nicht infrage.
Schließlich beschloss man, sich nicht von dem amerikanischen Vorbild
abhängig machen zu lassen und gründete kurzerhand eine staatliche
Jazz-Kommission. Innerhalb der Kommission wurde festgelegt, den
sowjetischen Jazz auf ein professionelles Niveau zu heben und ihn
zugleich von seinem wilden Image wegzuführen. Dem Volk propagierte man
den Ursprung der Musik als Kunst der unterdrückten schwarzen
Bevölkerung Amerikas, was mit der neuen kommunistischen
Gesellschaftsordnung bestens in Einklang zu bringen war.
Nun musste nur noch ein bekannter Name her, der jüngeren Komponisten
als Vorbild dienen könnte. Man entschied sich für Dmitri
Schostakowitsch, der bis dahin experimentelle klassische Sinfonien und
Konzerte komponiert hatte, die von den Kritikern nicht immer gelobt
wurden. Er sagte zu, das Ergebnis sind die beiden Suiten für
Jazz-Orchester, die 1934 und 1938 entstanden.
Schostakowitsch war sich absolut bewusst, dass er keinen wirklichen
Jazz komponierte - für unser Jazz-Verständnis ist die Bezeichnung
"Jazz-Suite" irreführend. In den letzten Jahren wird immer häufiger
der Titel "Suite für Varieté-Orchester" verwendet, was dem
musikalischen Charakter des Werks deutlich besser entspricht.
Diesmal war es gar nicht so leicht, einen passenden Link zu finden.
Vier Sätze dieser Suite (Marsch - Tanz Nr. 2 - Walzer Nr. 2 - Finale)
spielte im Juni 2018 der Akademische Orchesterverein Wien unter der
Leitung von Marta Gardolińska. Es erwartet Sie Unterhaltungsmusik im
besten Sinne des Wortes:
https://www.youtube.com/watch?v=VKCZqYjpKFw
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler