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29.08.2020 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten Folge 69

von Propsteikantor Matthias Wengler

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

er ist der bekannteste Stehgeiger unserer Zeit und vor allem mit

Werken der Strauß-Familie seit vielen Jahren weltweit erfolgreich:

André Rieu. Einer seiner bekanntesten Walzer-Hits stammt jedoch nicht

von Johann Strauß, sondern von Dmitri Schostakowitsch:

https://www.youtube.com/watch?v=vauo4o-ExoY

Schostakowitschs Walzer, der übrigens auch für Stanley Kubricks Film

"Eyes Wide Shut" mit Tom Cruise und Nicole Kidman verwendet wurde,

stammt aus der Suite für Jazzorchester Nr. 2, die ich Ihnen heute

gerne vorstellen möchte. Sie entstand auf Anweisung der

Sowjetischen(!) Jazz-Kommission.

Die Oktoberrevolution im Jahr 1917 war nicht nur politisch sondern

auch kulturell eine tief einschneidende Zäsur für Russland.

Revolutionsführer Lenin forderte: „Die Kunst gehört dem Volke. Sie

muss ihre tiefsten Wurzeln in den schaffenden Massen haben.“ Fortan

wurde die Musik sozialistisch getrimmt. Eine volkseigene Musikkultur

sollte auf Befehl des kommunistischen Machthabers entstehen. Der zur

selben Zeit in den USA aufkeimende Jazz mit seinem

freiheitlich-individualistischen Charakter stand Lenins Vorstellungen

von einer volkseigenen Musikkultur diametral entgegen. Dennoch dauerte

es nicht lange, bis die ersten Schallplatten mit den neuartigen

afroamerikanischen Klängen die noch junge Sowjetunion erreichten. Das

russische Volk zeigte sich begeistert, die Sowjetregierung hingegen

war weniger angetan von der ausgelassen-emotionalen Musik aus dem Land

des Klassenfeindes.

Obwohl der Jazz als dekadent galt, kam ein Verbot nicht infrage.

Schließlich beschloss man, sich nicht von dem amerikanischen Vorbild

abhängig machen zu lassen und gründete kurzerhand eine staatliche

Jazz-Kommission. Innerhalb der Kommission wurde festgelegt, den

sowjetischen Jazz auf ein professionelles Niveau zu heben und ihn

zugleich von seinem wilden Image wegzuführen. Dem Volk propagierte man

den Ursprung der Musik als Kunst der unterdrückten schwarzen

Bevölkerung Amerikas, was mit der neuen kommunistischen

Gesellschaftsordnung bestens in Einklang zu bringen war.

Nun musste nur noch ein bekannter Name her, der jüngeren Komponisten

als Vorbild dienen könnte. Man entschied sich für Dmitri

Schostakowitsch, der bis dahin experimentelle klassische Sinfonien und

Konzerte komponiert hatte, die von den Kritikern nicht immer gelobt

wurden. Er sagte zu, das Ergebnis sind die beiden Suiten für

Jazz-Orchester, die 1934 und 1938 entstanden.

Schostakowitsch war sich absolut bewusst, dass er keinen wirklichen

Jazz komponierte - für unser Jazz-Verständnis ist die Bezeichnung

"Jazz-Suite" irreführend. In den letzten Jahren wird immer häufiger

der Titel "Suite für Varieté-Orchester" verwendet, was dem

musikalischen Charakter des Werks deutlich besser entspricht.

Diesmal war es gar nicht so leicht, einen passenden Link zu finden.

Vier Sätze dieser Suite (Marsch - Tanz Nr. 2 - Walzer Nr. 2 - Finale)

spielte im Juni 2018 der Akademische Orchesterverein Wien unter der

Leitung von Marta Gardolińska. Es erwartet Sie Unterhaltungsmusik im

besten Sinne des Wortes:

https://www.youtube.com/watch?v=VKCZqYjpKFw

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler