Nachricht

01.10.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 232

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

im Sommer mobilisiert die Kathedrale von Chichester im englischen Sussex zusammen mit ihren Nachbarn aus Winchester und Salisbury jedes Jahr alle Kräfte und stemmt eines der wichtigsten Kirchenmusikfestivals Großbritanniens (Southern Cathedrals Festival). Für das Festival im Jahr 1965 wurde Leonard Bernstein mit einer Komposition vom damaligen Dekan der Kathedrale von Chichester, Walter Hussey, beauftragt - der Anlass für seine Chichester Psalms, die ich Ihnen gerne heute vorstellen möchte


Das dreiteilige Werk basiert auf hebräischen Psalmtexten (die Psalmen Nr. 100, 23 und 131 vollständig, dazu Einzelverse aus den Psalmen Nr. 108, 2 und 133), die Bernstein selbst zusammenstellte. Bernstein war im Entstehungsjahr der Chichester Psalms für ein Sabbatjahr von seinen Aufgaben beim New York Philharmonic Orchestra befreit, und diese Gelegenheit nutzte er zum Komponieren. Er berichtet: „Damals habe ich fast das ganze Jahr nur Zwölftonmusik und noch experimentellere Sachen geschrieben. Ich war glücklich, diese neuen Klänge zum Vorschein bringen zu können; doch nach etwa sechs Monaten Arbeit habe ich alles weggeworfen. Das war nicht meine Musik; sie war nicht aufrichtig. Und als Folge davon entstanden die Chichester Psalms - sicher das eingängigste B-dur-artig tonale Stück, das ich je geschrieben habe.“ 

Obwohl es sich um ein Auftragswerk für das Southern Cathedrals Festival handelte, fand die Uraufführung des Werkes in der Fassung für gemischten Chor und Countertenor bereits vor der Festival-Aufführung am 15. Juli 1965 in New York City in der Avery Fisher Hall unter Bernsteins Leitung mit den New Yorker Philharmonikern statt. In der Version für Knabenchor und Knabenalt wurde es dann zum ersten Mal am 31. Juli 1965 unter der Leitung von John Birch auf dem Festival in Chichester aufgeführt. Die Besetzung besteht aus Knabenalt (alternativ Countertenor), Soloquartett, Knaben- und Männerchor (alternativ gemischter Chor) und Orchester (drei Trompeten, drei Posaunen, Pauken, großes Schlagzeug, zwei Harfen und Streicher). 

Die Chichester Psalms sind unter Chorsängern berühmt-berüchtigt für ihre musikalischen Schwierigkeiten. Die häufige Verwendung der Septime ist eine Anspielung auf die besondere Bedeutung der Zahl „7“ in der jüdisch-christlichen Tradition. So ist auch der Hauptteil des ersten Satzes im 7/4-Takt geschrieben, der des 3. Satzes im 10/4-Takt (10 = 7+3). „Sucht man in meiner Musik nach dem Gegensatz von Optimismus und Pessimismus, so wird man ihn am ehesten im Spannungsfeld von Tonalität und Atonalität finden", erklärte Leonard Bernstein einmal.


Drei Mitschnitte der Chichester Psalms habe ich heute für Sie ausgewählt -  zunächst musizieren der Philharmonische Chor Posen und das Polish National Symphony Orchestra, der Solist ist Markus Baur (Mitglied des Tölzer Knabenchors), Leonard Bernstein dirigierte sein Werk am 1. September 1989 in der Warschauer Oper:

www.youtube.com/watch


Die Chichester Psalms existieren auch in einer Fassung für Orgel, Schlagwerk und Harfe. Le Choeur et la Maîtrise de Radio France, Yves Castagnet (Orgel), Iris Torossian (Harfe) und Emmanuel Curt (Schlagwerk) führten diese Fassung am 14. Januar 2018 unter der Leitung Sofi Jeannin im Pariser Maison de la Radio auf:
www.youtube.com/watch

Und zum Abschluss noch ein Mitschnitt aus dem Jahr 2015 aus der Constitution Hall in Washington, D.C. - die Mitwirkenden sind der Philharmonische Chor Krakau, die Washington Choral Arts Society, Theodore Nisbett (Knabenchor-Solist) und das Orchestra of St. Luke's unter der Leitung von Sir Gilbert Levine:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler