Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
einen guten Monat vor seinem 20. Geburtstag vollendete Mozart 1775 sein Violinkonzert A-Dur KV 219 als Abschluss einer Reihe von insgesamt fünf Solokonzerten. Es gilt als das reifste der Mozart-Violinkonzerte. Geradezu verschwenderisch ist die Fülle an thematischen Gedanken bis hin zu einem "türkischen" Zwischenspiel im Finale. Der 19-jährige Komponist beweist hier, wie souverän und zugleich individuell er die Form beherrscht. Der hinreißende dynamische Schwung und thematische Reichtum des vielgliedrigen strahlenden Werkes, seine innere Geschlossenheit und formale Ausgewogenheit und natürlich der phantasievolle Finalsatz verleiteten den großen Mozart-Forscher Alfred Einstein zu dem hymnischen Resümee: "Dieses Konzert ist an Glanz, Innigkeit, Witz nicht zu überbieten."
Der Beginn des ersten Satzes strahlt eine geradezu elektrisierende Spannung aus: Erwartungsvoll aufsteigende A-Dur-Dreiklänge werden von prickelndem Tremolo grundiert und von herrischen Einwürfen unterbrochen. Später wird der Solist über diesem spannungsvollen Klanggrund sein jubelndes Thema in hoher Lage anstimmen, das sogleich durch Passagen und große Sprünge angemessen brillant daherkommt. Dennoch ist der Satz auch reich an weichen, gesanglichen Episoden. Die schönste von ihnen spielt die Solovioline gleich bei ihrem ersten Einsatz. Statt das kraftvolle Allegro des Orchesters aufzugreifen, lehnt sie sich entspannt zurück und spielt ein Adagio, das wie die zärtliche Arie einer Primadonna wirkt, untermalt von „flüsternden“ Terzen der Tuttigeigen.
Das folgende Adagio steht in der bei Mozart seltenen Tonart E-Dur und wird völlig von den Seufzerfiguren des ersten Taktes beherrscht, die sich wie ein Band durch den ganzen Satz ziehen. Der Mittelteil wagt sich weit in Mollregionen vor. Für ein Salzburger Violinkonzert war dieses Adagio eigentlich „zu studiert“, wie es der spätere Konzertmeister Brunetti formulierte.
Umso unbeschwerter gibt sich das Rondo, zunächst als Menuett. Die Solovioline intoniert das berühmte Thema, das sich im Schlagabtausch mit dem Orchester immer schwungvoller entfaltet. Dann aber macht der Tanz einer romantisch-nächtlichen Episode in a-Moll Platz, die sich alsbald in einen drastischen „Türkischen Marsch“ verwandelt, voller fremdartiger Harmonien und krasser Akzente. Die tiefen Streicher missbrauchen ihre Celli und Kontrabässe als Schlagwerk. Der Einschub entfaltet eine angemessen „barbarische“ Wirkung, um das Menuett bei seiner Rückkehr noch höfischer und eleganter erscheinen zu lassen. Am Ende macht es sich auf leisen Sohlen davon - ein typischer Mozartscher Scherz.
Zwei Mitschnitte empfehle ich Ihnen heute sehr gerne, zunächst Christian Tetzlaff mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Paavo Järvi, das Konzert wurde am 24. November 2018 in der Bremer Glocke aufgezeichnet:
Und zum Schluss noch eine Rarität, sie zeigt eine kurzfristige Begegnung zwischen Solist und Dirigent, die gar nicht vorgesehen war: Am 27. Januar 2006 feierte man weltweit den 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart, so auch in der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Die Solisten des Abends waren Sylvia Schwartz (Sopran), Thomas Quasthoff (Bariton) und Nikolaj Znajder (Violine). Wenige Minuten vor Beginn des Konzertes, das live in verschiedene Länder übertragen wurde, musste Daniel Barenboim ins Krankenhaus eingeliefert werden - trotzdem ging der Abend wie geplant über die Bühne. Julien Salemkour, damals Assistent von Daniel Barenboim, leitete nicht nur das Konzert als Dirigent, er übernahm auch noch ohne Probe den Solopart in Mozarts Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur KV 488 - eine phänomenale Leistung, von der ich mich damals direkt im Saal überzeugen konnte. Hier folgt Mozarts Violinkonzert Nr. 5 A-Dur KV 219, es musiziert Nikolaj Znajder mit der Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Julien Salemkour:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler