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23.02.2022 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten - 291

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
 
unter den Serenaden ist Mozarts "Eine kleine Nachtmusik" sicherlich die bekannteste Komposition. Heute möchte ich Ihnen eines meiner Lieblingswerke aus dieser Gattung vorstellen: Die Serenade für Tenor, Horn und Streicher op. 31 von Benjamin Britten. Englische Gedichte aus mehreren Jahrhunderten hat der Komponist in diesem Zyklus vereint. Wie Britten in diesen Abendstücken die Natur und den Menschen darin mit seinen Gefühlen erfasst und in Töne setzt, ist schlichtweg genial!
 
Als Britten nach seinem dreijährigen Aufenthalt in Amerika 1942 wieder nach England reiste, war das mehr als nur eine geographische Heimkehr. Bekanntlich weckte die Lektüre eines Artikels über den Dichter George Crabbe, den E. M. Forster im "Listener" veröffentlichte, Brittens Sehnsucht nach seiner Heimat Suffolk und seinen Entschluss, nach England zurückzukehren, wobei er vor allem die Idee zu einer neuen Oper ("Peter Grimes") mitbrachte. Wie zur Vorbereitung auf die kommende Aufgabe schrieb Britten eine Reihe vokaler und choraler Werke, darunter "A Ceremony of Carols", den "Hymn to St Cecilia", "Rejoice in the Lamb" und als vielleicht wichtigstes die Serenade für Tenor, Horn und Streicher op. 31, die im März und April 1943 entstand. 
 
Im Sommer des Vorjahres hatte Britten den bemerkenswerten Hornisten Dennis Brain kennengelernt, der damals im Orchester der Royal Air Force spielte, für die Britten in der Kriegszeit verschiedene Musiken zu Rundfunkdokumentationen schrieb. Schon bald bat Brain den Komponisten um ein eigenes Werk, und so entstand die Idee zur Serenade. Die Uraufführung fand am 15. Oktober 1943 unter der Leitung von Walter Goehr in der Londoner Wigmore Hall mit Dennis Brain und Peter Pears als Solisten statt. Der Zyklus ist Edward Sackville-West gewidmet, einem befreundeten Schriftsteller, der Britten bei der Auswahl der Texte geholfen hatte.

Die Serenade beginnt mit einem Prologue, den der Hornist auf den Naturtönen seines Instruments spielt, womit einige Töne absichtlich verstimmt klingen. So entsteht eine Atmosphäre natürlicher, ursprünglicher Unschuld. Diese Stimmung setzt sich in der zwielichten Landschaft der Pastoral von Charles Cotton mit ihren sanft absteigenden Arpeggien in Singstimme und Horn fort - und auch in der energischeren Vertonung des Nocturne von Alfred Lord Tennyson mit seinen kadenzartigen Fanfaren und ihren äußerst markanten Terzenketten. Durch die recht einfache Art dieser beiden ersten Gesänge entsteht ein deutlicher, wirkungsvoller Kontrast zu der anschließenden Elegy von William Blake: Hier hat Britten das Gefühl der Sünde im Herzen des Menschen auf eine besonders offene und klare Weise ausgesprochen. Die treibenden Synkopen der Streicher und die schwerfälligen Kontrabassarpeggien sind von einfacher Diatonik, die aber von den fallenden Halbtönen der chromatisch umherschweifenden Hornstimme gestört wird, wodurch immer wieder ein Absinken von Dur nach Moll entsteht. Die gestopften Glissandi in den Schlusstakten des Satzes intensivieren diese Wirkung. 
 
Der anschließende Dirge (Grabgesang) bewahrt diesen düsteren Ton: Hartnäckig wiederholt der Tenor dabei seine Linie, die völlig ignoriert, dass sich in den Streichern eine Fuge entwickelt, die nach einem pianissimo-Anfang allmählich einen kraftvollen Höhepunkt erreicht, den das Horn mit seinem dramatischen Einsatz des Fugenthemas markiert. Danach verschwindet die Musik wieder in der Welt der Schatten. Die Spannung löst sich in dem nachfolgenden leichtfüßigen Satz Hymn von Ben Jonson, in dem die Streicher durchweg pizzicato zu spielen haben. Im letzten Lied, dem Sonnet von John Keats, schweigt das Horn. Dieses außergewöhnlich schöne Adagio bezieht seinen äußerst markanten Klang aus dem Nebeneinander nicht verwandter Dreiklänge – ein frühes Beispiel dafür, wie genial Britten die grundlegendsten musikalischen Elemente zu neuartigen Wirkungen nutzte. Das Horn beschließt den Zyklus mit dem Epilogue, einer exakten Wiederholung des Prologs, mit dem das Werk begann. Jetzt aber spielt er hinter der Bühne. Die Unschuld des Anfangs ist längst dahin.
 
2016 spielte das Orchestre de Paris unter der Leitung von Daniel Harding Brittens Serenade im Rahmen einer Japan-Tournee, die Solisten im folgenden Mitschnitt sind Mark Padmore (Tenor) und Benoit de Barsony (Horn):

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Beitrag von NR